Das Olympiastadion in Amsterdam © imago/Bildbryan

Busemanns EM-Kolumne

Wenn der Wind die Medaillenhoffnungen wegweht

von Frank Busemann

Leichtathleten sind keine Warmduscher: Bei jedem Wetter laufen, springen und werfen sie um die Wette. ARD-Experte Frank Busemann über Risiken und Nebenwirkungen von böigem Wind und peitschendem Regen.

Was haben wir in den vergangenen Tagen schon für seltsame Leistungen gesehen? Die Speere flogen nicht, die Disken flatterten, die Weitsprünge waren nicht leicht. Die Stabhochspringer hüpfen wie die Anfänger umher und die Mehrkämpfer stürzen über die Hürden. Sind das alles die Probleme einer EM? Weltniveau ist anders? Aber was eint alle diese Disziplinen? Sie sind empfänglich für äußere Störeinflüsse. Der Wind weht seit Tagen nicht auf Hallenniveau. Das ist der Preis einer Freiluftsportart. Es kann schieben, es kann bremsen, aber hier ist es bremsender Schiebewirbel.

Ein Stadion ist keine "Segelwiese"

Vielleicht mag es der Konstruktion des Olympiastadions geschuldet sein. 1928 war die großatlantische Deichbrise noch nicht durch Wetterkapriolen der Neuzeit verzerrt, aber die Architektur begünstigt anscheinend diese Wettkampfkomponente. Wenn die Speerwurf-Konkurrenz im Vorkampf komplett unter ihren Möglichkeiten bleibt, dann muss da oben was passieren, was wir nicht messen können.

Die Skispringer berücksichtigen seit einiger Zeit auch den Wind, das lässt sich in der Leichtathletik nur mit Windsummen in den Sprints und Horizontalsprüngen messen. Dass ein Stadion keine sogenannte Segelwiese ist, weiß jeder Sportler und Zuschauer, aber hier sah man doch oft ratlose Gesichter.

Filigrane und Firlefantisten?

Der deutsche Stabhochspringer Karsten Dilla © picture alliance / dpa Foto: Michael Kappeler

"Stabartisten" wie Karsten Dilla lieben Windstille und Wärme.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Bedingungen für alle ähnlich sein mögen. Karsten Dilla wollte sein unbefriedigendes Abschneiden im Stabhochsprung nicht vollends auf den Wind schieben, aber es gibt eben die Athleten, denen alles egal zu sein scheint. Anders kann man auch sagen, es gibt Trampel und Techniker, Filigrane und Firlefantisten? Windige oder Stille? Gute und Schlechte?

"Sport ist zu 90 Prozent Kopfsache, der Rest ist mental"

Trainieren lässt sich das natürlich nur bedingt. Vielmehr entscheidet bei so widrigen Bedingungen einmal mehr der Kopf und manchmal ein bisschen Glück, aber da zitiere ich immer wieder gerne Robert Harting: "Sport ist zu 90 Prozent Kopfsache und der Rest ist mental."

Wer also den Wind, das Wetter, den Regen als Chance zu seinen Gunsten sieht, der kann daraus Kapital schlagen. Letztendlich ist es nämlich vollkommen egal, ob der Europameister im Stabhochsprung 5,60 Meter oder 5,90 Meter gesprungen ist. Jetzt ist Renaud Lavillenie ein schlechtes Beispiel für mentale Schwäche, aber verloren ist verloren - und gewonnen ist gewonnen. Egal wie hoch, egal wie windig.

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 09.07.2016, 20.15 Uhr

Stand: 08.07.16 22:51 Uhr

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)

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1. Flagge Polen POL 6 5 1
2. Flagge Deutschland GER 5 4 7
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5. Flagge Niederlande NED 4 1 2
6. Flagge Spanien ESP 3 4 1
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