![Stabhochspringer Malte Mohr Stabhochspringer Malte Mohr © dpa-bildfunk Foto: Michael Kappeler](/zuerich2014/nachrichten/mohr180_v-ardteaserwidescreen.jpg)
EM-Geschichte
2012: DLV-Höhenflug bei vorolympischer "Mini-EM"
Kürzer und kompakter war die EM in Helsinki im Olympiajahr 2012. Einige Stars fehlten. Die DLV-Athleten nutzten die Chance und waren mit sechs Siegen und insgesamt 16 Medaillen die beste Nation.
Nur alle vier Jahre Europameisterschaften, das war den Verantwortlichen des Europäischen Leichtathletik-Verbandes (EAA) offenbar zu wenig. Mit den Titelkämpfen in Helsinki 2012 fiel der Startschuss für einen verkürzten Zwei-Jahres-Rhythmus. Bereits 24 Monate nach Barcelona traf sich die europäische Leichtathletik-Elite in der finnischen Hauptstadt wieder, um ihre Besten zu ermitteln. Das Problem: Die erste "kleine EM" mit lediglich 42 statt 47 Entscheidungen (ohne Marathon und Gehen) fand in einem Olympiajahr statt. So fehlten unter den 1.350 Athleten aus 50 Ländern zahlreiche Topleute. Das drückte auf die Stimmung im Olympiastadion von 1952. Die meisten Protagonisten bestritten die EM aus dem vollen Training für die Spiele in London heraus. Bei den DLV-Athleten klappte das gut, mit sechs Goldmedaillen und insgesamt 16 Podestplätzen stellte Deutschland das erfolgreichste Team.
Behrenbruch wagt viel und gewinnt
Vorne weg marschierten aus deutscher Sicht einmal mehr Weltmeister Robert Harting und David Storl. Sowohl der Diskus-Riese aus Berlin als auch das Chemnitzer Kugel-Ausnahmetalent sammelten ihre erste Goldmedaille bei kontinentalen Titelkämpfen ein. Der größte Gewinner im deutschen EM-Team war wohl Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch, der viel wagte - und gewann. Der Frankfurter, der seit November in Estland lebt und trainiert, ging im Gegensatz zu den anderen deutschen Mehrkämpfern vor den Sommerspielen auch in Helsinki an den Start. Er holte nicht nur seine erste große internationale Medaille, sondern sogar mit persönlicher Bestleistung (8.558 Punkte) Gold. Weitspringer Sebastian Bayer bewies, dass er nach zwei Hallen-Titeln auch unter freiem Himmel den ganz großen EM-Satz landen kann. Mit 8,34 m avancierte er zum Nachfolger von Christian Reif, der verletzungsbedingt verzichtet hatte. Herausragend auch die Leistung von Stabhochsprung-Routinier Björn Otto: 5,92 m bedeuteten für den 34-Jährigen persönliche Bestleistung und EM-Silber, vor Teamkollege Raphael Holzdeppe.
Neuer Abschnitt
Deutsches Team
Die deutschen Medaillengewinner von Helsinki
-
Pascal Behrenbruch: "Ich will es allen zeigen", sagt der Zehnkämpfer der LG Eintracht Frankfurt im Vorfeld der EM in Helsinki. Und der 27-Jährige hält Wort: Mit persönlicher Bestleistung von 8.558 Punkten wird er Europameister.
-
Nadine Kleinert: Endlich Gold! Nach unzähligen Anläufen gewinnt die dreifache Vize-Weltmeisterin ihren ersten internationalen Titel. 19,18 m reichen der 36-jährigen Kugelstoßerin für den Platz ganz oben auf dem Treppchen in Helsinki.
-
David Storl: In Daegu 2011 holte der Chemnitzer Kugelstoßer vollkommen überraschend WM-Gold, bei der EM in Finnland wird der 21-Jährige seiner Favoritenstellung eindrucksvoll gerecht. Mit 21,58 m deklassiert er die Konkurrenz im Olympiastadion von Helsinki.
-
Robert Harting: Mit einer Weite von 68,30 m holt sich der Diskuswerfer souverän den EM-Titel vor seinem estnischen Konkurrenten Gerd Kanter.
-
Sebastian Bayer: Nach zwei ungültigen Sprüngen bekommt der Weitspringer vom Hamburger SV noch die Kurve und holt sich Gold mit einem Satz auf 8,34 m.
-
4x100-m-Staffel: In einem Klasselauf - ohne Übergabeprobleme - sichert sich das deutsche Frauen-Quartett mit Leena Günther, Anne Cibis, Verena Sailer und Tatjana Pinto (v.l.n.r.) die Goldmedaille in 42,51 Sekunden.
-
Arne Gabius: 31 Jahre alt musste der 5.000-m-Läufer werden, um den größten Erfolg seiner Karriere feiern zu können. Hinter dem Briten Mo Farah sichert sich der Arzt aus Tübingen mit einem unwiderstehlichem Schlussspurt Platz zwei im EM-Finale von Helsinki.
-
Christina Obergföll: Jubel über Silber, aber wieder Gold verpasst. Die Offenburgerin muss sich im Speerwerfen der Ukrainerin Wira Rebryk geschlagen geben und wird wie in Barcelona 2010 Zweite.
-
Martina Strutz: Nach WM-Silber sichert sich die Neubrandenburgerin im Stabhochspringen mit 4,60 m nun auch den zweiten Platz bei der EM.
-
Björn Otto: Beim Stabhochsprung katapultiert sich der 34-Jährige mit persönlicher Bestleistung (5,92 m) auf den zweiten Rang hinter Europameister Renaud Lavillenie und holt Silber.
-
Nadine Müller: Im Diskuswerfen visiert die Vizeweltmeisterin bei der EM den Titel an, muss sich aber Titelverteidigerin Sandra Perkovic (Kroatien) geschlagen geben. Mit 65,41 m gewinnt die DLV-Athletin Silber.
-
4x100-m-Staffel: Auch bei den deutschen Männern läuft es in der Sprintstaffel gut. Funktionierende Übergaben und ein guter Schlussspurt von Alexander Kosenkow, Lucas Jakubczyk, Tobias Unger und Julian Reus (v.l.n.r.) bringen in 38,44 Sek. die Silbermedaille.
-
Linda Stahl: Bei der EM 2010 in Barcelona hatte die Leverkusenerin überraschend den EM-Titel geholt. In Helsinki landet die Speerwerferin erneut auf dem Treppchen, gewinnt dieses Mal Bronze.
-
Antje Möldner-Schmidt: In einem spannenden Finish über 3.000 m Hindernis überholt die 28 Jahre alte Cottbuserin in der letzten Kurve noch Gesa Felicitas Krause und holt so Bronze.
-
Raphael Holzdeppe: Mit 5,77 m stellt der Stabhochspringer vom LAZ Zweibrücken eine persönliche Saisonbestleistung auf, muss sich nur Renaud Lavillenie (Frankreich) und DLV-Teamkollege Björn Otto (Bayer Uerdingen/Dormagen) geschlagen geben.
-
4x400-m-Staffel: Das DLV-Männer-Quartett holt bei der EM in Helsinki die 16. und letzte deutsche Medaille. Jonas Plass (Team Wendelstein), Kamghe Gaba (LG München), Eric Krüger (SC Magdeburg) und Thomas Schneider (Dresdner SC) gewinnen Bronze.
Gabius und Kleinert feiern späte Medaillen
Zu Silber rannte auch 5.000-m-Läufer Arne Gabius. Der 31-Jährige schwebte im Anschluss ebenso auf Wolke sieben wie Nadine Kleinert, die auch im reifen Athleten-Alter ihre erste EM-Medaille holte - und dann gleich Gold: "Ich musste erst 36 Jahre alt werden, damit das gelingt", konstatierte die Magdeburgerin, die fünf Wochen später bei den Olympischen Spielen ihren 50. und letzten Einsatz im Nationalteam feierte, zum Karriereende in London aber leider den Finaleinzug verpasste. Bemerkenswert: der deutsche Aufschwung im Laufbereich. Auf der Bahn des Olympiastadions von Helsinki bestätigten die DLV-Athleten die aufsteigende Tendenz nicht zuletzt mit zahlreichen Finalteilnahmen auch auf Strecken, die in den vergangenen Jahren verwaist waren. Für Edelmetall sorgten neben Gabius die nach langer Krankheit wiedergenesene Hindernisläuferin Antje Möldner-Schmidt, die ebenso Bronze gewann wie das 4x400-m-Quartett der Männer, sowie die beiden Sprint-Staffeln: Gold für die starken Frauen mit der entthronten Europameisterin Verena Sailer, Silber für die Männer. "Wichtiger als alle Medaillen ist die Trendwende im Lauf", betonte Verbandschef Clemens Prokop.
Heidler hinterlässt Rätselraten
![Betty Heidler Betty Heidler](/zuerich2014/nachrichten/heidler366_v-ardteaserwidescreen.jpg)
Eine enttäuschte Betty Heidler in Helsinki.
Die Liste der Enttäuschten von Helsinki 2012 führten Hochspringerin Ariane Friedrich, die wegen eines Magen-Darm-Infekts kurzfristig passen musste, sowie Betty Heidler an. Die Hammerwurf-Weltrekordlerin scheiterte nach zwei ungültigen Versuchen und einer indiskutablen Weite im dritten Anlauf schon in der Qualifikation und sorgte für Rätselraten. "Nicht immer lässt sich alles erklären", war auch DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen etwas ratlos. Auch Stabhochspringerin Silke Spiegelburg war einmal mehr als Favoritin angereist, musste sich am Ende aber mit Platz vier begnügen, während ihr die deutsche Rekordhalterin Martina Strutz mit Silber erneut die Show stahl. Speerwerferin Christina Obergföll, in Abwesenheit von Dauerrivalin Barbora Spotakova wie Spiegelburg als europäische Jahresbeste angereist, blieb mit Silber der goldene Wurf wieder verwehrt.
Mit dem Rückenwind von Helsinki erfolgreich in London
Der zufriedenstellenden Gesamtbilanz tat das keinen Abbruch. Die "Note eins" gab Kurschilgen der jungen deutschen Mannschaft. Das Team habe sich auf einem hohen Niveau bewegt und könne zuversichtlich nach London blicken. "Ich glaube, dass wir in London wesentlich besser abschneiden werden als bei den letzten beiden Olympischen Spielen zusammen", orakelte Prokop nach Helsinki und sollte Recht haben. Sechs Wochen nach der EM bestätigten die deutschen Leichtathleten ihren Höhenflug auch an der Themse und sammelten im Olympiastadion von London acht Medaillen ein (1x Gold, 4x Silber, 3x Bronze). Nach der einen Bronzemedaille 2008 in Peking und den zwei Silberplaketten 2004 in Athen ein wahres DLV-Comeback, das sich in Helsinki angedeutet hatte.
Das deutsche Beispiel zeigte, was die neue "Mini-EM" im Olympiajahr trotz des Fehlens zahlreicher internationaler Medaillenkandidaten auch sein kann: ein Motivationsschub für das größte Sportevent des Planeten. "Das Experiment wird 2016 fortgesetzt", resümierte Prokop. Dann treffen sich Europas Leichtathleten in Amsterdam (27. Juni bis 1. Juli), ehe gut fünf Wochen später in Rio de Janeiro wieder um olympisches Gold, Silber und Bronze geht.
Stand: 01.06.16 10:42 Uhr