Mittelstreckler Jürgen May © Horstmüller

EM-Geschichte

Von Belgrad 1962 bis Athen 1969

Nach der "May-Kundgebung" von 1966 blieb Athen 1969 für die Westdeutschen eine "verbotene Stadt". Budapest 1966 hatte sich als golden erwiesen. Auch 1962 gab es große EM-Tage für Deutschland.

"Acht Weltrekorde in fünf Wettbewerben" - so titelte Heinz Vogel in "Leichtathletik" seinen Nachbericht zu den 9. Europameisterschaften vom 16. bis 21. September 1969 in Athen. Dabei waren nicht wirklich die Ereignisse auf der Laufbahn im Olympiastadion das große Thema der Veranstaltung, sondern ein Politikum namens Jürgen May. Der Mittelstreckler und "DDR-Sportler des Jahres 1965" war bei der EM 1966 dabei erwischt worden, einen erfolgreichen Mannschaftskollegen der "Blauhemden" mit 500 Dollar zum Wechsel seiner Schuhe zu bewegen - Bruderkampf auf Herzogenauracher Art - und daraufhin vom DDR-Leichtathletik-Verband (DfVL) lebenslänglich "von der Teilnahme an jeglichen weiteren Wettkämpfen" ausgeschlossen worden.

Athen, die "verbotene Stadt" für Jürgen May

Ein Jahr später gelang May die Flucht in den Westen. Gegen seine Meldung für die EM 1969 in Athen über 1.500 und 5.000 m legte der DVfL beim Europäischen Leichtathletikverband Veto ein: May habe den Verband gewechselt, was automatisch eine dreijährige Sperre nach sich ziehe. Athen jedenfalls blieb für den Deutschen eine "verbotene Stadt", der DLV verzichtete daraufhin auf die Teilnahme seines Teams. Lediglich Staffeln gingen an den Start: Das Frauen-Quartett über 4x100 m holte Silber, die 4x400-m-Staffeln jeweils Bronze, nachdem die deutschen Frauen im Vorlauf sensationell Weltrekord gelaufen waren.

Budapest 1966 die "Goldene Stadt"

DLV-Zehnkämpfer Werner von Moltke (Gold), Horst Beyer (Bronze) und Jörg Mattheis (Silber/v.l.n.r.) © Horstmüller

Glorreiches Trio bei der EM 1966 in Budapest: die DLV-Zehnkämpfer Werner von Moltke (Gold), Horst Beyer (Bronze), Jörg Mattheis (Silber/v.l.n.r.).

Budapest drei Jahre zuvor, vom 30. August bis 4. September 1966, war für "die Deutschen" geradezu zur "Goldenen Stadt" geworden - jedenfalls in puncto Erfolgsbilanz. Diese, so Heinz Cavalier in seiner Nachbetrachtung in der "Leichtathletik", "schließt mit beträchtlichem Gewinn ab. Ein Drittel aller Medaillen wurde von Deutschen gewonnen, nur ein knappes Fünftel von sowjetischen Aktiven. Die Mannschaft des DLV hat es auf die stolze Zahl 21 gebracht; sie darf sich rühmen, in dieser Rechnung alle anderen Mannschaften einschließlich der sowjetischen übertroffen zu haben". Es waren allerdings die ersten Europameisterschaften mit zwei getrennten deutschen Mannschaften - und die DDR eroberte mit acht Gold-, drei Silber- und sechs Bronzemedaillen auch gleich die Edelmetall-Statistik.

Unvergessen: der deutsche Vierfach-Triumph im Zehnkampf mit Werner von Moltke (Mainz), Jörg Mattheis (Köln), Horst Beyer (Mainz) auf den Medaillenrängen sowie dem erst 19-jährigen späteren DDR-Weitsprung-Rekordler Max Klauß (Dresden) auf Platz vier. Legendär auch die Polin Irena Kirszenstein, die mit drei Gold- (200 m, 4x100 m, Weit) und einer Silbermedaille (100 m) zur erfolgreichsten Athletin der 8. EM 1966 im Volksstadion avancierte.

Belgrad 1962: Große Tage für die gesamtdeutsche Mannschaft

200-m-Europameisterin von 1962 Jutta Heine (l.) © Horstmüller

Anfang der 60er Jahre die Aschenbahn-Ikone auf der halben Stadionrunde: Jutta Heine (li.), 200-m-Europameisterin 1962.

Auf dem Rückweg von Belgrad am 17. September 1962 beliebte der Schweizer Flugkapitän zu scherzen. Er sei gefragt worden, ob dies ein Kriegsflugzeug sei, da es so viele "Kanonen" mit sich führe. Der Flieger mit Kurs auf Frankfurt war mit der (gesamt-)deutschen Leichtathletik-Nationalmannschaft besetzt, die zuvor eine "großartige EM-Leistung" erbracht hatte. Die deutschen Männer, die 1958 in Stockholm Rang vier belegt hatten, waren in der Nationenwertung auf Platz zwei vorgerückt. Die deutschen Frauen hatten sich die Spitze in Europa erkämpft, überraschenderweise noch vor den sowjetischen.

Beethovens "Freude schöner Götterfunken" als "Nationalhymne"

"Das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Mannschaftsteilen war gut, vielfach herzlich", notierte Heinz Cavalier in der "Leichtathletik"-Rückschau. Mit viermal Gold, elfmal Silber und achtmal Bronze hatte es in der jugoslawischen Hauptstadt "fünf große Tage für die deutschen Leichtathleten" gegeben. Vor der 7. EM hatte man sich auch auf eine Hymne für die gemeinsame Mannschaft geeinigt: Bei Siegerehrungen ertönte Beethovens "Freude schöner Götterfunken". Herausragend: die erste Goldmedaille für Deutschland durch Jutta Heine über 200 m sowie zweimal Gold binnen 65 Minuten am Schlusstag durch die deutschen Männerstaffeln über 4x100 und 4x400 m.

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 09.07.2016, 20.15 Uhr

Stand: 31.05.16 10:14 Uhr