
EM-Geschichte
2010: Junges DLV-Team glänzt in Barcelona
Bärenstark in Barcelona: Die deutschen Leichtathleten holten 16 Medaillen, darunter vier goldene. Verena Sailer gelang Historisches. Der Star der EM aber hieß Christophe Lemaitre.
Edelmetall im Eiltempo durch Sailer, Stahl und Obergföll: Sie holten drei der insgesamt 16 deutschen Medaillen bei den 20. Europameisterschaften in Barcelona. In den sechs Tagen in der katalanischen Metropole feierte die Leichtathletik 47 Europameister. Aber die Gastgeber feierten nicht mit. Leere auf den Rängen, Ignoranz auf den Straßen: Das größte kontinentale Sport-Event des Jahres zog die Massen nicht in seinen Bann. Das Olympiastadion auf dem Montjuic schien manchmal wie vergessen. Aber aus deutschem Blickwinkel entstanden 18 Jahre nach den Olympischen Spielen 1992 in der Arena Bilder, die unvergessen bleiben: ein dreifacher Medaillen-Triumph durch Verena Sailer, Linda Stahl und Christina Obergföll binnen weniger Minuten.
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Bildergalerie
Die deutschen Medaillengewinner 2010
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An den ersten beiden Wettkampftagen bleiben die deutschen Athleten ohne Medaille. Dann sprintet Verena Sailer zu Gold über die 100 m.
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Nur wenige Minuten später wird auch Linda Stahl Europameisterin. Der Sieg der Leverkusenerin im Speerwurf ist eine Überraschung.
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Auch Silber geht an das deutsche Team. Christina Obergföll wird hinter Stahl Zweite.
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Die deutschen Stabhochspringerinnen holen ebenfalls zwei Medaillen. Silke Spiegelburg belegt den zweiten Platz...
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... die erst 21 Jahre alte Lisa Ryzih wird Dritte und kann ihr Glück kaum fassen.
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Nach dem WM-Sieg 2007 holt sich Betty Heidler im Hammerwurf den zweiten großen Titel ihrer Karriere
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Die erste Medaille für die deutschen Männer gewinnt sensationell Carsten Schlangen. Mit einem starken Endspurt holt der Berliner Silber über 1.500 Meter.
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Sie wollte Gold und holte Bronze: Hürdensprinterin Carolin Nytra läuft im Finale die zweitbeste Zeit ihrer Karriere und muss sich trotzdem mit Rang drei begnügen.
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Ebenfalls Dritter wird Ralf Bartels. Der Kugelstoßer aus Neubrandenburg untermauert einmal mehr seinen Ruf als Wettkämpfer der Extraklasse. Erst im letzten Versuch sichert er sich Edelmetall.
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Jennifer Oeser hat allen Grund zu jubeln. Die Siebenkämpferin gewinnt mit persönlicher Bestleistung Bronze.
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Auch Matthias de Zordo zeigt bei der EM die beste Leistung seiner Karriere. Der Saarbrücker schleudert den Speer auf 87,81 m und wird hinter Olympiasieger Andreas Thorkildsen Zweiter.
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Tobias Unger, Marius Broening, Alexander Kosenkow und Martin Keller (v.l.) holen am Abschlusstag der EM Bronze über 4x100 m.
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Diskus-Weltmeister Robert Harting schafft bei der EM nicht den Sprung ganz oben aufs Treppchen. Der Berliner holt Silber.
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Wie bei der WM 2009 holt Ariane Friedrich auch bei der EM 2010 Bronze im Hochsprung.
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Mit 8,47 m fliegt Weitspringer Christian Reif zum EM-Titel.
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Ein fulminanter Abschluss für das DLV-Team: Die deutsche 4x400-m-Staffel mit Fabienne Kohlmann, Esther Cremer, Janin Lindenberg und Claudia Hoffmann gewinnt Silber.
Klar besseres Resultat als in Göteborg 2006
Das Sprint-Speer-Trio sorgte für eine Initialzündung nach zuvor zwei medaillenlosen Tagen. Weiteres Edelmetall folgte. Spiegelburg, Ryzih, Heidler, Schlangen, Bartels, Oeser, Nytra, de Zordo. Und zum Schluss noch die Staffeln, Harting, Friedrich und Weitspringer Reif, der bei seinem EM-Gold mit Jahresweltbestleistung von 8,47 m auftrumpfte. Mit 16 Medaillen (4/6/6) - fünf davon am "Goldenen Sonntag" - lieferte das junge deutsche Team nicht nur ein viel besseres EM-Resultat als in Göteborg 2006 (4/4/2). Es übertraf sogar das Ergebnis der ersten gemeinsamen Mannschaft nach der Wiedervereinigung bei der EM 1994 in Helsinki (14) und platzierte sich sowohl im Medaillenspiegel als auch in der Nationenwertung auf Rang vier hinter Russland, Frankreich und Großbritannien. "Wir sind enttäuschend gestartet und haben mit Überraschungen aufgehört", resümierte der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Clemens Prokop. "Wenn man so viele Medaillen gewinnt, kann man nur sagen: Ziel erreicht!"
Essers Enttäuschung - Möllingers Sturz
Bei aller Freude über reichlich und zum Teil unverhofftes Edelmetall gab es natürlich auch Enttäuschungen aus deutscher Sicht. Markus Essers Hammer wollte einfach nicht fliegen. Der Modellathlet scheiterte schon in der Qualifikation und war hinterher nur noch ein Häufchen Elend. Mit den Tränen kämpfend entschuldigte sich Esser "bei allen, die mir die Daumen gedrückt haben". Diskuswerferin Nadine Müller, in die katalonische Metropole gekommen um Gold zu holen, fand für den schlechtesten Wettkampf ihrer Karriere (Platz acht mit 57,78 m, zehn Meter unter der persönlichen Bestleistung) nur eine Beschreibung: "Scheiße". Und dann war da noch Anne Möllinger, die im Vorlauf über 4x100 m beim letzten Wechsel auf Sailer stürzte: aus der Traum vom deutschen Staffel- und Sailers zweitem EM-Gold.
Sprinterfolg mit Signalwirkung?

Verena Sailer rannte in Barcelona zum historischen EM-Gold über 100 m.
Doch aus DLV-Sicht überwog das Positive: In Typen wie Linda Stahl mit Überraschungs-Gold im Speerwurf und Carsten Schlangen mit Sensations-Silber über 1.500 m schaffte eine Generation eigenverantwortlicher junger Leute in Barcelona den Durchbruch, die die Doppel-Belastung aus Leistungssport und Berufsausbildung offensichtlich geschickt unter einen Hut brachten und die geistigen Belastungen eines Studiums als unverzichtbaren Ausgleich zur körperlichen Trainingsarbeit betrachteten. Sailer und Schlangen hauchten zudem der schon x-Mal totgesagten Lauf-Abteilung des DLV neues Leben ein. "Der Sprinterfolg sollte die Signalwirkung haben: Man kann mit starker europäischer Konkurrenz mithalten", sagte DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen. Dennoch sei unbestritten: "Die Situation im Langlauf muss deutlich verbessert werden."
Lemaitre sprintet in die EM-Geschichtsbücher
Wie es funktionieren kann, machten Frankreich und sein neuer "Wunder-Sprinter" Christophe Lemaitre vor. Der schmächtige 20-Jährige rannte der Konkurrenz über 100 und 200 Meter auf und davon und führte auch die 4x100-m-Staffel des Tricolore-Teams zu Gold. Damit schaffte der Student der Elektrotechnik als erster Sprinter der EM-Geschichte das Triple. "Die Franzosen und Briten haben im Lauf zugelegt. Da müssen wir genau hinschauen, wie sie es machen", sagte Prokop.
Ruhe an der Doping-Front?

DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen.
Nach außen hin ruhig blieb es in Barcelona beim Thema Doping. Die Spanier, laut ihrem stellvertretenden Sportminister Albert Soler null-tolerant in dieser Frage, sind allerdings bekannt für ihren eher defensiven Umgang mit dem heiklen Thema. "Starke Maßnahmen wurden ergriffen, um dopingfreie Meisterschaften zu sichern", hieß es pauschal in einer Pressemitteilung des Europäischen Leichtathletik-Verbandes. Und: "Sowohl Urin- wie Blutproben werden während der Veranstaltung genommen." Konkrete Zahlen lieferte nur Kurschilgen: "Ich kann nur sagen, dass wir im Trainingslager in Kienbaum vor der EM sieben Mal kontrolliert wurden. Und in Barcelona ist Sabrina Mockenhaupt am Morgen ihres 10.000-m-Finals getestet worden", so der Sportdirektor. "Ich betreibe ansonsten keine Spekulationen. Dass die Wettkampfbedingungen ungleich sind, weiß man. Es liegt auch an den unterschiedlichen Doping-Kontrollsystemen in den Ländern." Rund ein halbes Dutzend leistungssteigernder Medikamente waren vor der WM 2009 in Berlin auf dem Schwarzmarkt im Umlauf, ohne dass es seinerzeit rechtsfeste Tests darauf gegeben hätte.
Kampfrichter mit Sehschwächen
Echte Skandale blieben in Barcelona aus. Ein "Hingucker" waren allerdings die Messungen der Kampfrichter im Kugelstoßen. Mehr als einmal konnten sich die Zuschauer des Eindrucks nicht erwehren, dass den Herren der Messgeräte eine Sehhilfe gut zu Gesicht gestanden hätte.
Stand: 31.05.16 13:48 Uhr