Leere Plätze während vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro © dpa -Bildfunk Foto: Lukas Schulze

Atmosphäre

Stimmung in Rio zwischen Tristesse und Tollhaus

Die Zuschauerränge in den Olympia-Arenen von Rio sind nicht immer gut gefüllt. Die brasilianischen Fans sorgen dennoch für Stimmung. Das gefällt nicht jedem.

Laura Siegemund war ganz froh, nach ihrer Erfolgsstory im olympischen Tennis-Einzel endlich auf attraktiveren Courts spielen zu können. "Da hinten in der Ecke" sei es zuweilen schon ganz schön trist und stimmungsarm gewesen, meinte die Olympia-Debütantin nach ihrem Erfolg auf Außenplatz 8. Mit der Stimmung ist es Rio so eine Sache, fast überall sind bei den Sommerspielen leere Plätze in Stadien und Arenen zu sehen, obwohl offiziell über 80 Prozent der Tickets verkauft worden sind. "Die Füllegrade in einigen Stadien sind bedenklich. Und dann heißt es, dass es keine Tickets gibt. Es sind zu viele Tribünenplätze leer", wunderte sich Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, über die teils nicht ausgelasteten Zuschauerränge.

"Mit Kindern und Schulklassen auffüllen"

Das Problem ist zum Teil hausgemacht: Sponsoren rufen wie auch bei früheren Großereignissen ihre Ticket-Pakete nicht immer ab, prompt bleiben ganze Blocks verwaist. "Wir versuchen das Problem zu lösen, indem wir frühzeitig mit den Sponsoren sprechen. Wir würden die Plätze dann gerne mit Kindern und Schulklassen auffüllen", sagte OK-Sprecher Mario Andrada. Bemerkbar macht sich auch, dass die von sozialen und wirtschaftlichen Problemen gebeutelten Brasilianer von vornherein keine große Olympia-Begeisterung entwickelten - und zudem wegen der Sorgen vor Zika und Kriminalität weit weniger Touristen nach Rio kommen als erhofft. Statt bis zu einer Million wurde zuletzt mit 300.000 bis 500.000 Touristen gerechnet.

Brasilianische Sportler begeistern

Immerhin: Dort, wo brasilianische Sportler am Start seien, wäre die Stimmung schon sehr gut, meinte der deutsche Chef de Mission Michael Vesper. Und tatsächlich sorgen die Fans des Gastgeberlandes in den Arenen für Aufsehen. Ob beim Tischtennis oder Fechten, beim Judo oder Schwimmen: Die "Torcedores" verwandeln die olympischen Wettkampfstätten in Tollhäuser - auch dann, wenn sich nur wenige Fans in den Arenen befinden. Rekord-Olympiasieger Michael Phelps schwärmte: "Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas Ähnliches gehört zu haben." Und auch Tennis-Ass Novak Djokovic war angesichts der Anfeuerungsrufe (Le-le-o, Le-le-o, Djoko) baff: "Ich dachte, ich wäre bei mir zu Hause, ich wäre Brasilianer."

Konflikte zwischen Brasilien und Argentinien

Argentinische Fans feiern auf dem Centre Court im olympischen Tennisstadion in Rio de Janeiro © Thomas Luerweg Foto: Thomas Luerweg

Argentinier auf dem Center Court im Tennisstadion.

Der weltbeste Tennisspieler aus Serbien kam aber auch deshalb in den Genuss der Gastgeber-Sympathien, weil er gegen den Argentinier Juan Martin del Potro antrat. Brasilien und Argentinien verbindet eine lange Rivalität. Die Konflikte, die man bisher nur vom Fußball kannte, werden nun auch bei Olympia ausgetragen. Während del Potros nächstem Match gegen den Portugiesen Joao Sousa gerieten sogar ein Fan im Brasilien-Trikot und ein Mann mit Argentinien-Jersey auf der Tribüne aneinander, Soldaten mussten eingreifen. "Man muss die brasilianischen Fans von ihrer Fußball-Euphorie hin zu einer Fair-Play-Kultur bringen", sagte IOC-Sprecher Mark Adams, dessen Rüge nicht von ungefähr kam: Was die einen ausgelassen-sympathisch finden, ist für andere schlicht unfair.

Gegner werden gnadenlos niedergemacht

"Silencio! Shhh!", die Stadionsprecher mahnen fortwährend zu mehr Zurückhaltung. Beim Halbfinale der späteren Judo-Olympiasiegerin Rafaela Silva gegen Corina Caprioriu riefen die Fans der Rumänin zu: "Vai morrer!", Du wirst sterben! Ein Schlachtruf aus dem viel brutaleren Käfig-Kampfsport Mixed Martial Arts. Häufig ist bei Olympia das von der Fußball-WM bekannte "Eu sou brasileiro" (Ich bin Brasilianer) zu hören. Diese Hingabe zu den Landsleuten führt in Rio dazu, dass Gegner der brasilianischen Lieblinge oft gnadenlos niedergemacht werden. Auch deutsche Sportler bekommen die Abneigung zu spüren. Beide Fußball-Teams werden fortwährend ausgebuht. "Sie sind wohl noch enttäuscht wegen des 1:7 im WM-Halbfinale", vermutete Bundestrainerin Silvia Neid richtig.

Walkenhorst: "Atmosphäre ist gigantisch"

Die brasilianischen Sportler verteidigen ihre Anhänger, die bei den Spielen nicht nur ein großes Herz für ihre Landsleute, sondern auch für Underdogs beweisen. "Wir Brasilianer sind eben sehr leidenschaftlich und gerne laut", sagte Tischtennisspieler Hugo Calderano. Und doch bereiten die teilweise leeren Ränge dem OK Sorgen. Die deutschen Hockey-Männer beklagten sich ebenso über die Zustände wie die Handballer. Wenn doch mal jemand komme, säßen Laien in der Halle, "die Handball sonst nicht gucken", sagte Europameister Hendrik Pekeler. Die Atmosphäre sei "sehr komisch. Erst jubeln dir die Leute zu, dann wird man ausgebuht." Beachvolleyballerin Kira Walkenhorst lässt sich davon allerdings im Mutterland ihres Sports nicht irritieren: "Das ist nicht schön, aber es gehört dazu. Gerade wenn Brasilien spielt, ist die Atmosphäre gigantisch."

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 21.08.2016, 07.00 Uhr

Stand: 10.08.16 22:20 Uhr