Interview
Olympiastadt
Rio vor dem Start: "Funke kann noch überspringen"
Am Freitag (05.08.2016) werden die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro eröffnet. ARD-Korrespondent und Studioleiter Michael Stocks im Interview mit sportschau.de über die Stimmung, die Probleme und das besondere Flair der Olympiastadt.
Michael Stocks, am Freitag beginnen die ersten Olympischen Sommerspiele in Südamerika. Wie nehmen Sie die Stimmung im Gastgeberland und vor allem in Rio wahr?
Michael Stocks: Die Stimmung legt insgesamt zu. Das liegt aber vor allem daran, dass immer mehr Touristen, Besucher und Athleten in die Stadt kommen, die zum Teil auch schon richtig gute Stimmung machen. Die Brasilianer und die "Cariocas", die Einwohner von Rio, haben sich mit dem Gedanken an Olympia allerdings noch immer nicht so ganz anfreunden können.
Woran liegt das?
Stocks: Das liegt vor allem an den großen sozialen Problemen, an der politischen und wirtschaftlichen Krise. Es ist ein bisschen wie kurz vor der Fußball-WM vor zwei Jahren. Auch da waren die Menschen ziemlich sauer, dass so viel Geld in diese Megaevents gesteckt wird, während gleichzeitig so viel im Argen liegt - vor allem in den Bereichen Gesundheit, Erziehung, Ausbildung, Transportsystem, Sicherheit. Rio selbst hat ja kürzlich erst den Finanznotstand erklärt, und in dieser Gemengelage schafft es Olympia nicht so richtig ins Herz der "Cariocas".
Wird Rio nicht von den Olympischen Spielen profitieren können?
Stocks: Es wurde wahnsinnig viel versprochen, als der Zuschlag für Rio kam; dass das ganze Stadtbild sich verändern und Olympia eine gewisse Nachhaltigkeit bringen würde. Wenn wir jetzt in die Realität gucken: Natürlich wurde viel gemacht, es wurden etwa elf Milliarden Euro in Sportstätten und Infrastruktur investiert. Vor allem im Zentrum wurden einige Projekte umgesetzt, es fährt jetzt eine Bahn zwischen Zentrum und Stadtflughafen, das Hafengebiet hat sich sehr schön verändert, es gibt die Metrolinie, die ausgebaut wurde zwischen Barra und dem Zentrum. Aber was völlig ausgeblieben ist, ist eine Verbesserung für die Menschen, die im Norden von Rio leben, vor allem in den armen Vierteln. Für sie hat sich nichts getan. Im Gegenteil: Gerade im Verkehrsbereich und auch im sozialen Bereich ist die Situation noch schlimmer geworden. Dazu kommt das Thema Sicherheit und Gewalt, das bedingt durch die wirtschaftliche und politische Krise in den vergangenen Monaten immer größer geworden ist.
Stichwort Sicherheit: Mehr als 85.000 Sicherheitskräfte, doppelt so viele wie in London, sollen für die Sicherheit sorgen. Keine Gefahr also?
Stocks: Also zumindest - und das haben die Regierung und die Organisatoren auch immer wieder bekräftigt - tun sie hier alles dafür, um größtmöglichen Schutz zu gewährleisten. Man hat die Anstrengungen insbesondere nach dem Anschlag von Nizza noch einmal intensiviert und arbeitet sehr stark mit ausländischer Polizei zusammen. Brasilien war nie im Fokus von islamistischem Terror. Bei so einem Großereignis weiß man aber natürlich nie genau, was passieren kann.
Der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach erwartet trotz allem "großartige Spiele". Sie auch?
Stocks: Die Brasilianer sind sehr emotional. Es kann sehr gut sein, dass der Funke noch überspringt, wenn das ganze Spektakel erst einmal losgeht und auch die Menschen zusammenkommen. Das hatten wir auch bei der Fußball-WM. Ich erinnere mich an Szenen beispielsweise an der Copacabana, wo Fans aus allen möglichen Nationen zusammensaßen, zusammen gegrillt und ihr Bier getrunken haben. Das war toll.
Womit kann Rio besonders punkten?
Stocks: Rio ist trotz allem ein besonderer Platz und eine fantastische Stadt. Schon allein durch die Topografie und die Einbettung der diversen Stadtviertel zwischen den Bergen und dem Meer. Dazu kommen die Herzlichkeit und die offene Art der "Cariocas". Auch wenn's hier viele Probleme gibt und man die Augen immer ein bisschen aufhalten muss: Man wird hier als Ausländer sehr gut aufgenommen und kann sehr viel Spaß und schöne Erlebnisse haben. Ich denke, dass die Olympia-Stimmung für die Besucher insgesamt ganz toll wird.
Auf welche Wettkämpfe freuen Sie sich besonders?
Stocks: Auf alles, was an der Copacabana stattfindet. Dort wird das Flair durch den Strand, das Meer und die Lebensfreude der Brasilianer am Spürbarsten sein. Besonders Beachvolleyball mit seinem beeindruckenden Stadion, wo 12.000 Zuschauer hineinpassen, aber auch Freiwasserschwimmen, Triathlon und das Straßenradrennen werden sehr spektakulär.
Wofür interessieren sich die Brasilianer am meisten?
Stocks: Das 1:7 bei der WM gegen Deutschland sitzt nach wie vor ziemlich tief im Herzen der Brasilianer. Doch trotz der vielen Negativerfahrungen im Fußball hofft natürlich jeder, dass endlich mal hier in Brasilien bei so einem Megaereignis auch ein Titel geholt wird. Neymar hat die Goldmedaille auch mehrfach als Ziel erklärt. Darüber hinaus sind Volleyball und Beachvolleyball wichtige Sportarten. Gerade Beachvolleyball ist ja hier in Rio an den Stränden zuhause und wird in jeder freien Minute gespielt. Da hängt schon ziemlich viel Herzblut dran.
Das Interview führte Bettina Lenner, sportschau.de
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Stand: 04.08.16 08:50 Uhr