800-Meter-Läuferin und Whistleblowerin Julia Stepanowa © picture alliance Foto: Paul Zinken

Whistleblowerin Stepanowa darf bei EM starten

Die 800-m-Läuferin Julia Stepanowa darf bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Amsterdam als neutrale Athletin an den Start gehen. Die Whistleblowerin kann nun auch auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro hoffen.

Die Kronzeugin des russischen Doping-Skandals erhielt vom Weltverband IAAF am Freitag (01.07.2016) mit sofortiger Wirkung das internationale Startrecht. Die Russin dürfe wegen ihrer Verdienste um einen sauberen Sport unter neutraler Flagge wieder an Wettkämpfen teilnehmen. Damit rückt auch ein Olympia-Start für die 30 Jahre alte Mittelstrecklerin immer näher. Insgesamt hätten mehr als 80 russische Athleten - darunter auch Stabhochsprungstar Jelena Issinbajewa - Anträge für Ausnahmeregelungen gestellt, teilte die IAAF mit. Diese würden geprüft. Allerdings will der Weltverband nur Sportler mit einem Startrecht für Rio ausstatten, die nachweislich im Ausland lebten und nicht dem russischen Dopingsystem unterstanden.

Seppelt: "Verdienste von Julia Stepanowa anerkannt"

ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt © WDR/Herby Sachs

ARD-Dopingexperte Seppelt: "Gespannt, ob IOC-Exekutive auch Haltung beweist."

"Damit hat der Weltsport offenkundig die Verdienste von Julia Stepanowa anerkannt, die als eine der berühmtesten Whistleblowerinnen des Sports in die Geschichte eingehen wird", sagte ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt sportschau.de: "Nun wird sich zeigen, ob die IOC-Exekutive mit dem deutschen Präsidenten Thomas Bach auch Haltung beweist und der mutigen Russin, die sich für ihre Enthüllungen großen Risiken aussetzte, einen Startplatz bei Olympia ermöglicht."

Was macht das IOC?

Stepanowas Zulassung zu einzelnen Wettbewerben hängt noch von der Zustimmung der jeweiligen Organisatoren ab. Während der Europäische Leichtathletik-Verband (EAA), unter dessen Flagge Stepanowa in Amsterdam antreten wird, bereits grünes Licht gegeben hat, steht die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) noch aus. Das IOC werde einen möglichen Start "sorgfältig prüfen" und habe bereits alle Daten zu dem Fall von der IAAF angefordert, teilte das IOC am Freitag mit. "Das kann man nicht mit einem Federstrich erledigen, weil wesentliche Regeln der Olympischen Charta infrage stehen. Wir werden den Fall auf Grundlage der Regeln und unter Berücksichtigung der persönlichen und rechtlichen Gesichtspunkte vollumfänglich prüfen und bewerten", hatte IOC-Chef Bach bereits zuvor betont.

Prokop begrüßt Entscheidung - Kritik in Russland

Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, begrüßte die Rückkehr der Doping-Whistleblowerin auf die Wettkampfbühne ausdrücklich. "Es ist ein wichtiges Zeichen des internationalen Sports, dass Julia Stepanowa für ihr Risiko, Missstände in ihrem Land aufgezeigt zu haben, nicht weiter abgestraft, sondern ihr Mut honoriert wird." Er hoffe nun, dass auch das IOC ihr das Startrecht für Rio gewährt: "Die IAAF hat vorgemacht, wie man kurzfristig Regeln einführen kann, die es ermöglichen."

Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) äußerte sich lobend: "Es ist ein Signal in die richtige Richtung. Whistleblower müssen gestärkt werden, denn sie werden zur Glaubwürdigkeit und zur Optimierung des Anti-Doping-Kampfes dringend gebraucht." Die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) erklärte, die Entscheidung sei "aufgrund ihrer Verdienste für den sauberen Sport" richtig.

In Russland gab es unterdessen Kritik. "Das ist keine gerechte Entscheidung, weil Julia Stepanowa selbst verbotene Präparate verwendet hat", sagte der Vorsitzende des Sportausschusses in der Staatsduma, Dmitri Swischtschjow, der Agentur Interfax. Das Gesetz solle für alle gleich sein, forderte er.

Start gleich am ersten Wettkampftag

Stepanowa wird bei der EM bereits am ersten Wettkampftag am Mittwoch (06.07.2016) im Blickpunkt stehen. Um 18.25 Uhr beginnen dann im Olympiastadion die Vorläufe über 800 m der Frauen. Ihre Bestzeit von 1:58,99 Minuten liegt sieben Jahre zurück. "Egal, wie schnell sie in Amsterdam laufen wird - Hauptsache ist, dass sie dabei ist", sagte Prokop.

Die 30-Jährige hatte mit ihrem Mann Witali Stepanow, ehemaliger Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA, den Skandal um systematisches Doping in der russischen Leichtathletik mit ihren Aussagen in der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping" ins Rollen gebracht. Das Ehepaar lieferte Beweise für ein flächendeckendes Doping und ein von Trainern und Verbandsfunktionären getragenes, korruptes Betrugssystem in einer der stärksten Sportnationen der Welt. Die 800-m-Läuferin berichtete von ihrer eigenen Dopingvergangenheit und über die Rolle der Trainer. "Den Trainern wird es eingehämmert und die hämmern es den Athleten ein. Die Athleten denken deshalb gar nicht, wenn sie verbotene Präparate einnehmen, dass sie etwas Unrechtes tun", erzählte Stepanowa. Nach den Enthüllungen flüchtete das Paar in die USA an einen geheimen Ort.

Genaue Prüfung vor der Startrecht-Erteilung

Bestätigt wurde das von den beiden Whistleblowern gezeichnete Schreckensbild des Dopings durch eine Untersuchungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die am 9. November 2015 entsprechende Beweise und Belege in einem 323-seitigen Bericht vorlegte. Daraufhin wurde der russische Verband vier Tage später suspendiert. Die IAAF verlängerte am 17. Juni die Sperre und verhängte damit auch ein Olympia-Startverbot des Verbandes, öffnete aber zugleich die Hintertür für im Ausland lebende Russen und vor allem für Stepanowa, wie die IAAF ausdrücklich betonte.

Die couragierte Läuferin, die selbst ab 2013 wegen Auffälligkeiten in ihrem biologischen Pass und später eingestandenem Blutdoping für zwei Jahre gesperrt war, musste sich einer genauen Prüfung vor der Startrecht-Erteilung unterziehen. Auf Grundlage der Wettkampfregel 22.1A der IAAF musste Stepanowa eine Doping-Prüfungskommission überzeugen, in einer relevanten Periode unabhängig und häufig genug getestet worden zu sein.

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 09.07.2016, 20.15 Uhr

Stand: 03.07.16 12:56 Uhr

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Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Polen POL 6 5 1
2. Flagge Deutschland GER 5 4 7
3. Flagge Großbritannien GBR 5 3 8
4. Flagge Türkei TUR 4 5 3
5. Flagge Niederlande NED 4 1 2
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